Andreas von Rétyi
Astronomen sind in der Tiefe des Raumes auf ein neues Geheimnis gestoßen – einen einzigartigen weißen Zwergstern mit ziemlich mysteriösem »Verhalten«. Andernorts scheinen Sterne plötzlich regelrecht zu »verschwinden«. Derzeit lässt sich dafür keine natürliche Ursache entdecken, und sogar einige Astronomen spekulieren, ob hier eine fremde Technologie im Spiel sein könnte. Unfug oder Wissenschaft?
Er ist beinahe ein echter Giftzwerg, der Stern AR Scorpii im gleichnamigen Südsternbild. Eigentlich schwirren dort zwei Sonnen in einem ungewöhnlichen Tanz umeinander, rund 380 Lichtjahre von der Erde entfernt. Nachdem eine Gruppe von Amateurastronomen aus Deutschland, Belgien und Großbritannien bereits im Mai 2015 bemerkt hatte, dass sich das Sternsystem ziemlich eigenartig »verhält«, richteten Astrophysiker die größten Teleskope der Erde auf dieses ominöse Weltraumziel. Immer noch sind viele Details unklar, aber was jetzt bekannt wurde, ist rätselhaft genug.
Die aktuellen Beobachtungen mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO zeigen einen rasend schnell rotierenden weißen Zwergstern, der Elektronen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Die energiegeladenen Teilchen senden Strahlungssalven aus und bombardieren damit den unmittelbar benachbarten Begleiter, einen Roten Zwerg.
Das gesamte System »pulsiert« im Rhythmus von nur rund zwei Minuten und erlebt dabei dramatische Ausbrüche im weiten Bereich zwischen Ultraviolett- und Radiostrahlung. »AR Scorpii wurde vor mehr als 40 Jahren entdeckt, doch von seiner wahren Natur ahnte man noch nichts, bis wir ihn dann im Jahr 2015 zu beobachten anfingen«, so kommentiert Tom Marsh von der britischen Warwick-Universität, die federführend an der Untersuchung beteiligt war. Wie Marsh betont, war schon innerhalb weniger Minuten klar, hier ein ganz außergewöhnliches Himmelsobjekt vor sich zu haben.
Weiße Zwergsterne sind an sich schon eigentümliche Objekte. Trotzdem, wohl niemand kann sich eine Kugel vorstellen, die so groß ist wie die Erde, aber deren Masse um einen Faktor von 200 000 übersteigt – ein kompakter Sternüberrest aus entarteter Materie. Bislang allerdings war kein Weißer Zwerg bekannt, der Radiostrahlung aussendet und gepulste Lichtblitze abgibt. Der gebündelte
Strahl liegt schräg zur Rotationsachse, so wie man das von Neutronensternen her kennt. Dabei trifft er periodisch auf den kühlen Begleitstern, einen Roten Zwerg von rund einem Drittel Sonnenmasse.
Die beiden ungleichen Sonnen umkreisen sich alle 3,6 Stunden vollständig und mit der Präzision eines Uhrwerks. Immer, wenn der Energiestrahl auf die rote Zwergsonne trifft, erlebt das ganze System einen heftigen Lichtausbruch. Die Astronomen sprechen anschaulich von einem ziemlich »brutalen Verhalten«.
Was da beobachtet wird, ist so einzigartig wie mysteriös. Klar scheint nur, dass Elektronen im starken Magnetfeld des so aggressiven Weißen Zwergs beschleunigt werden. Doch niemand kann derzeit sagen, woher diese geladenen Teilchen überhaupt stammen. Das bleibt ein Rätsel. Von den noch viel kompakteren Neutronensternen sind gebündelte Strahlungskegel bekannt, die zum vielfach beobachteten Leuchtturmeffekt führen. Liegt die Erde im »Zielbereich« des Lichtkegels, blitzt der kollabierte Sternenrest in extrem kurzen Zeitabständen sehr regelmäßig auf – was einst auch zum irreführenden Namen »Pulsar« geführt hat.
Einige Astronomn haben auch für Weiße Zwerge ähnliche Effekte vorhergesagt, das bestätigt sich jetzt. Nur, was da wirklich vor sich geht, bleibt dubios. Die neuesten Ergebnisse wurden am 28. Juli 2016 im Fachblatt Nature veröffentlicht. Sicher wird noch öfter von AR Scorpii zu hören sein, genau wie von »Tabby’s Stern«, der seit Herbst 2015 verstärkt im Fokus von Wissenschaft und Medien steht. Inoffiziell benannt nach Tabetha Suzanne Boyajian, gilt er heute als eine stellare Sphinx.
Boyajian ist führende Autorin einer Forschungsarbeit mit dem Titel: Where’s the Flux? – Wo ist der (Strahlungs)fluss? Wo ist das Licht dieses Sterns plötzlich hin? Er hat einen unerklärlich hohenProzentsatz seiner Helligkeit eingebüßt. Das Paper brachte dem Stern durch drastische Abkürzung des Titels und völlig beabsichtigt auch den eher despektierlichen Namen WTF Star ein, geradezu symbolisch für einen verbreiteten Unglauben. Eine sinnvolle natürliche Erklärung für den enormen Helligkeitsverlust konnte jedoch bislang nicht gefunden werden.
Der offiziell als KIC 8462852 im Katalog des Kepler-Weltraumteleskops verzeichnete Stern macht es der Fachwelt wirklich nicht einfach. Er ist der einzige von rund 150 000 überwachten Sternen, der ein solches Verhalten »an die Nacht« legt. Andere Fälle konnten durch technische Probleme oder aber natürliche Prozesse geklärt werden, nicht aber der Fall »Tabby«. Riesenplaneten, interstellare Wolken, Asteroidenfelder oder auch riesige Kometenansammlungen versagen allesamt kläglich, wenn es darum geht, als Erklärung für den deutlichen Helligkeitsverlust von KIC 8462852 herzuhalten.
Bald schon war die Idee aufgekommen, eine Megazivilisation sei möglicherweise an der Verdunklung des Sternes schuld, durch die Schaffung gigantischer künstlicher Strukturen im All. Das Ganze könne ein gewaltiges Bauprojekt sein, nach Art der Dyson-Sphären. Schon in den 1960er Jahren hatte der britisch-amerikanische Physiker Freeman Dyson sphärische Sonnenkollektoren gewaltigen Ausmaßes als eine Möglichkeit genannt, mit der weit fortgeschrittene kosmische Zivilisationen Energie sammeln könnten. Fremde Intelligenzen könnten eine Kugelschale von der Größe des Erdorbits mit unzähligen Kollektoren bestücken, um die Energie ihres Sternes anzuzapfen, so die fantastisch anmutende Idee.
Zunächst sah es so aus, als ob sich das Rätsel von KIC 8462852 doch natürlich klären ließe. Das hat sich bisher nicht bestätigt. Und so bleibt die ET-Interpretation letztlich doch im Rennen. Steckt hinter dem Rätsel von Tabby’s Stern vielleicht tatsächlich eine außerirdische Intelligenz? Oft ist zu
hören, der Vorschlag sei nicht ganz ernst gemeint gewesen. Abwegig könnte eher schon die Annahme sein, hochentwickelte galaktische Intelligenzen hätten noch keine andere Methode zur Energiegewinnung gefunden. Nur, was lässt sich hier schon mit Sicherheit sagen?
Sich aber beim Gedanken an fremde Intelligenzen im All oder potenzielle »Superzivilisationen« immer noch amüsiert zu geben, zeugt entweder von Unwissen oder der Sorge, sich lächerlich zu machen sowie nicht zuletzt von einem weiterhin tief verwurzelten präkopernikanischen Weltbild, einschließlich jenes sakrosankten Dogmas, dass der Mensch die »Krone der Schöpfung« sei. Ganz gewiss ist er das nicht.
Selbstverständlich besteht nach wie vor durchaus die Möglichkeit, dass Wissenschaftler schon bald eine logisch nachvollziehbare, natürliche Erklärung für das allmähliche »Verschwinden« von KIC 8462852 finden und belegen. Doch die ETI-These kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden und ist grundsätzlich alles andere als abwegig. Man muss sich nur eben daran gewöhnen, was einigen Rationalisten völlig irrationalerweise ziemlich schwer zu fallen scheint. Immerhin nehmen Wissenschaftler des SETI-Projekts die Idee ernst genug, um neutralere und nüchterne Wertungen vorzunehmen als die meisten allzu abgeklärten, allzu »seriösen« Medien. SETI-Forscher suchen bei Tabby’s Star in verschiedenen Wellenlängenbereichen auch nach Signaturen, die künstlichen Ursprungs sein könnten. Und Tabetha Boyajian hat erfolgreich eine Crowdfunding-Aktion gestartet, um »den rätselhaftesten Stern der Galaxis« noch genauer analysieren zu können.
Es ist ein schrittweiser Prozess, der über Jahrzehnte hinweg eingeleitet wurde. Doch mittlerweile trauen sich auch Wissenschaftler, in ernsterem Ton über fortgeschrittene technologische Zivilisationen im All zu diskutieren, ohne sich allzu sehr um ihren Ruf sorgen zu müssen. Das Thema wird in Fachkreisen allmählich salonfähig, nur davon scheinen viele Medien offenbar noch nichts mitbekommen zu haben.
Kürzlich publizierte die Astrophysikerin Beatriz Villarroel von der schwedischen Universität von Uppsala zusammen mit Kollegen einen neuen Forschungsansatz: Am 29. Juni veröffentlichten die Wissenschaftler zuerst auf dem Cornell-Dokumentenserver arXiv eine Arbeit, in der sie die Suche nach »verlorenen« Sternen oder sogar Galaxien sowie physikalisch durch Naturphänomene nicht erklärbaren Effekten vorschlagen, um Anzeichen für Fremdzivilisationen zu entdecken. Die Durchmusterung digitaler Daten habe zwar unter Millionen von Objekten lediglich einen verdächtigen Kandidaten geliefert. Doch sei der vollständige Datensatz wesentlich größer. Außerdem spielt auch die recht kurze Beobachtungsspanne eine bedeutende Rolle. Ein Großprojekt unter öffentlicher Beteiligung könnte da weiterhelfen. Die vorgestellte Arbeit wurde mittlerweile zur Publikation im renommierten Fachblatt The Astrophysical Journal akzeptiert. Vielleicht kommt bald doch mehr Bewegung in die Sache!