Andreas von Rétyi
Die ersten Wochen des Jahres 2015 gehören den kleinen Körpern des Sonnensystems. Besonders interessant wird es mit dem Anflug der Raumsonde Dawn auf die größte Welt des Asteroidengürtels zwischen Mars und Jupiter – Ceres. Planetenforscher und Astrobiologen vermuten hier nach der Erde das größte Wasserreservoir im inneren Sonnensystem und halten sogar die Existenz von Mikroorganismen für möglich.
Vor ziemlich genau 214 Jahren, in der Neujahrsnacht 1801, entdeckte der sizilianische Astronom Giuseppe Piazzi von Palermo aus einen bemerkenswerten Himmelskörper in den Regionen zwischen Mars und Jupiter. Schon lange hatten Forscher vermutet, dass sich hier ein weiterer Planet aufhält, klafft doch in diesem Bereich eine sehr weite Lücke, die das innere vom äußeren Sonnensystem zu trennen scheint.
So glaubte bereits der deutsche Astronom Johannes Kepler an einen noch unsichtbaren Planeten dort. Auch eine später gefundene Abstandsregel verleitete zur selben Annahme. Allerdings ließen sich die Abstände physikalisch nicht begründen.
Bis heute ist das Rätsel nicht gelöst, wie sich die Planetenentfernungen im Sonnensystem erklären – und jene »Titius-Bode-Regel« war eben auch nichts anderes als eine schöne mathematische Übereinstimmung, keineswegs aber eine physikalische Gesetzmäßigkeit. Trotz alledem, der Gedanke lag in der Luft, und im Jahr 1800 begann eine gezielte Suche nach der unbekannten Welt.
Der Erfolg sollte demnach nicht lange auf sich warten lassen. Der von Piazzi entdeckte Planet erhielt den Namen Ceres, nach der Schutzgöttin Siziliens, und jenes »neue« Objekt schien eine hervorragende Bestätigung für die Astronomen zu sein. Etwas klein war er zwar schon, der Neue, aber immerhin, die Bahnbestimmung ergab eindeutig die richtige Distanz: Ceres bewegte sich tatsächlich im Raum zwischen Mars und Jupiter um die Sonne.
Bald aber folgten weitere Planetenfunde in ähnlichen Distanzen. Die Forscher schienen die von ihnen gerufenen Geister nicht mehr loszuwerden. Schon innerhalb der nächsten Jahrzehnte stießen sie auf sehr zahlreiche weitere »Planeten« in der vermeintlichen Lücke. Bald wurde klar, dass hier ganze Heerscharen kleinerer Himmelskörper eine Art »Saturnring« der Sonne bildeten.
Ceres war nur der größte Vertreter dieser Horde, wobei die Gesamtmasse all dieser Kleinplaneten oder »Planetoiden« bei Weitem nicht ausgereicht hätte, auch nur einen ausgewachsenen Planeten zu bilden. Selbst also, wenn sie alle einst einem einzigen, größeren Objekt angehört hätten, das Ding wäre nach wie vor ein Kleinplanet geblieben. Umso weniger konnte man nun all jene frisch aufgespürten Objekte als vollwertige Planeten einstufen.
Der kosmische Schotter, der in diesem Asteroidengürtel um die Sonne schwebt, hat sich als ziemlich facettenreich und interessant für die Planetenforschung erwiesen. Gerade auch Ceres gerät dabei immer stärker ins Visier. Im Wirrwarr der Neudefinition von Planeten und planetenartiger Kleinkörper des Sonnensystems wird er seit 2006 genau wie Pluto als »Zwergplanet« geführt.
Wie auch immer das Kind nun aber heißt, seine Eigenschaften ändern sich dadurch nicht. Allerdings weiß man nach wie vor kaum etwas über das größte Objekt zwischen Mars und Jupiter. Nicht umsonst erklärt der Geo- und Planetenphysiker Christopher T. Russell von der Universität Kalifornien: »Ceres ist für uns immer noch ein beinahe vollständiges Rätsel.«
Russell ist federführender Wissenschaftler bei der Dawn-Mission, die der Erforschung von Objekten des Asteroidengürtels gewidmet ist. Die Dawn-Raumsonde wurde 2007 ins All gestartet und erreichte im Juli 2011 den Kleinplaneten Vesta, der mit seinen 516 Kilometern Durchmesser als zweitgrößter Asteroid des Hauptgürtels zwischen Mars und Jupiter eingestuft wird.
Nachdem die Sonde rund 14 Monate lang um Vesta gekurvt war, ging die Reise weiter in Richtung Ceres. Unerlässlich für den Langzeiteinsatz und die diversen Manöver dabei: der Ionenantrieb des Raumschiffs. Mit konventioneller Technologie wäre die Mission nicht möglich gewesen. Nach erfolgreichem Eintritt in einen Orbit um Ceres wird Dawn (»Dämmerung«) die erste Sonde sein, die zwei Körper unseres Planetensystems umkreist hat.
In wenigen Wochen, Anfang März soll es soweit sein. Geplant ist, Dawn rund ein Jahr lang in einem Orbit um Ceres zu halten. Nach einer Phase zur Kartografierung soll die Bahn auf wenige hundert Kilometer Distanz abgesenkt werden, um die Oberfläche mit höchster Auflösung zu erfassen.
Was die Sonde hier erwartet, ist weitgehend Neuland, eine kleine Welt mit etwa 950 Kilometer Durchmesser, die bislang nur relativ wenig Oberflächenmerkmale enthüllte. Vor allem mit dem Hubble-Teleskop ließen sich aber zumindest einige Strukturen ausmachen, darunter ein dunkler Fleck, der »Piazzi« getauft wurde. Auch Beobachtungen im Radiobereich lieferten interessante Informationen, denen zufolge die relativ dunklen, kohlenstoffreichen Landschaften von Ceres mit einer Schicht pulverisierten Oberflächenmaterials bedeckt sind.
Von Vesta scheint es einige kleine Bruchstücke auf unserer Erde zu geben. Tatsächlich lassen verschiedene Fakten bis zum jüngsten Stand der Dinge darauf schließen, dass die sogenannten HED-Meteorite von Vestas Oberfläche stammen. Das wäre dann also direkt zugängliches Material eines Asteroiden. Leider lassen sich Ceres analog keinerlei Meteoriten zuordnen. Umso geheimnisvoller bleibt dieser Himmelskörper. Die Dawn-Mission soll ihrem Namen alle Ehre machen und bald Licht in die Sache bringen. Schon Ende dieses Monats dürften Aufnahmen möglich werden, die mehr zeigen als die derzeit besten erdgebundenen Bilder.
Was bis jetzt über Ceres bekannt ist, lässt auf einige bemerkenswerte Eigenschaften schließen. Dieser Zwergplanet muss ein relativ warmer Himmelskörper mit einem sehr hohen Wassergehalt sein. Die niedrige Dichte deutet darauf hin, dass etwa 17 bis 27 Prozent seiner Gesamtmasse von dem kostbaren Nass gebildet werden. Damit wird Ceres nach der Erde zum größten Wasserreservoir des inneren Sonnensystems.
Ob das Wasser auch in flüssiger Form dort vorkommt, nahe der »Schneegrenze« unseres Planetensystems, weiß derzeit niemand. Doch Planetologen vergleichen Ceres mit einigen bemerkenswerten Trabanten der riesigen Gasplaneten, vor allem mit dem Jupitermond Europa sowie dem Saturnmond Enceladus. Beide werden von gewaltigen Gezeiten »durchgeknetet«, die ihr Inneres deutlich erwärmen. Unter einem dicken Eispanzer vermuten Forscher daher Ozeane flüssigen Wassers, wobei durch Krustenbrüche immer wieder Wasserdampf in die Höhe schießt und »Eisfontänen« bildet.
Erst kürzlich konnte auch bei Ceres ähnliche Aktivität beobachtet werden, selbst wenn hier andere Entstehungsursachen zu erwarten sind. Doch gerade wegen der größeren Erdnähe dürfte Ceres ein bedeutendes Forschungsobjekt bleiben und für die Suche nach einfachen außerirdischen Lebensformen ein wesentliches Ziel darstellen.
Dr. Jian-Yang Li vom Institut für Planetenwissenschaften in Tucson, Arizona, ist jedenfalls überzeugt: »Ich glaube nicht, dass Ceres für die Astrobiologie weniger interessant ist als andere potenziell bewohnbare Welten.« Alle drei wesentlichen Ingredienzien für die Entstehung von Leben sind hier offenbar zu erwarten: flüssiges Wasser, eine Energiequelle – eben die noch recht nahe Sonne – und wohl auch die chemischen Grundbausteine.
Dawn soll die tatsächlichen Verhältnisse aufdecken helfen und dabei auch von den ALMA-Radioteleskopen in der chilenischen Atacama-Wüste unterstützt werden. Diese Anlage soll mit der geballten Auflösungskraft ihrer insgesamt 66 Parabolantennen einen »Blick« ins Innere von Ceres ermöglichen und dabei Informationen zur chemischen und mineralogischen Zusammensetzung liefern. »Das ist eine wesentliche Ergänzung der Dawn-Mission«, betont Dr. Li.
Was auch immer Dawn herausfinden wird, der Hauptgürtel zwischen Mars und Jupiter bleibt eine bemerkenswerte Region unseres Sonnensystems und ein entsprechend faszinierendes Forschungsziel. Hier gibt es noch ausreichend Sonnenlicht, Wasser und planetares »Rohmaterial«. Visionäre sehen für künftige bemannte Raummissionen die Möglichkeit, in diesen Gefilden verschiedene Bodenschätze zu erschließen.
Die Oberflächen kleiner Himmelskörper sind deutlich metallhaltiger als von der Erde her gewohnt. Und was Leben betrifft, könnte der Zwergplanet Ceres ein aussichtsreicher Kandidat sein, selbst, wenn es sich dabei »nur« um Mikroben dreht.
Der amerikanische SETI-Forscher Michael D. Papagiannis ging allerdings so weit zu spekulieren, dass sich intelligente, zum Interstellarflug fähige Lebensformen bereits seit langer Zeit in diesen Regionen aufhalten und dort auch mit allem Nötigen versorgen könnten, völlig unbemerkt von irdischen Beobachtern.
Solche Besucher könnten große künstliche Stationen als Asteroiden tarnen, die unsere Sonne mitten im Schwarm der unzähligen Kleinplaneten umkreisten. Zumindest eine reizvolle Idee. Jetzt aber steht erst einmal die zweite »heiße Phase« der Dawn-Mission an. Im März wird sich zeigen, was der Forschung hier dämmert.